Wirtschaftsminister Aiwanger mit „O-Ton Süd“ in seinem Element (Foto: SZ.de; Johann Osel)
Dass im Freistaat Bayern die Glocken etwas anders hängen als im Rest der Welt, ist jedem klar. Nur im Süden Deutschlands gibt es eine Partei, die CSU, die bundesweit umgerechnet bei knapp fünf Prozent liegt, trotzdem aber die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten maßgeblich mitbestimmt. Und noch eine wesentliche Besonderheit: Nur in Bayern regieren die Freien Wähler als Partei mit, insbesondere in Person von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (51), gleichermaßen stellvertretender Ministerpräsident. Der studierte Landwirt, der sich gerne mit seinem „Chef“ Markus Söder anlegt, hat mal wieder klare Kante gezeigt und im politischen Sommertheater für Aufmerksamkeit gesorgt…
Der Anlass ist eigentlich lächerlich – aber für Aiwanger und seine bäuerliche Wählerklientel – nicht nur in Oberbayern – höchst emotional. Immerhin zählt die Landwirtschaft in Bayern mit den vor- und nachgelagerten Segmenten zu den wichtigsten Wirtschaftsbereichen. Umsatz: ca. 177 Mrd. Euro p.a. Insofern zählen Land-, Forst-, und Ernährungswirtschaft zu den umsatzstärksten Branchen. Der Wert von Agrar- und Ernährungsgütern beim Export aus Bayern beträgt rund 10 Mrd. Euro. Diese Leistungen erwirtschaften ca. 105.000 Betriebe, meist in Familienbesitz, davon 38 % im Haupterwerb. Insgesamt sind über 900.000 Menschen in der grünen Branche tätig. Erfolgreicher sind nur die Automobil- und Maschinenbauer.
Um was es bei der Provinzposse geht, die zur Politposse wurde? Im Voralpen-Dorf Pähl mit seinen 2.500 Seelen, scheiden jetzt dampfende Kuhfladen die Geister! Denn Landwirt Georg Schweiger hatte wieder einmal seine 25 Kühe von der Weide in den heimischen Hof getrieben. Und was machen diese von der grünen Wiese gut genährten Viecher? Sie hinterlassen jede Menge Kuhfladen auf der öffentlichen Straße, was einem ortsansässigen Bürger ziemlich gegen den Strich ging. Der „Zugroaßte“ (Übersetzung: Nicht-Einheimischer, also Zugezogener, der sich mit den tradierten Werten noch nicht so richtig auskennt) hatte den Bauern postwendend angezeigt, weil er die seiner Meinung nach widerlichen Kuhfladen nicht wegräumte. Deshalb wurde dem indirekten Verursacher von der örtlichen Gemeinde postwendend ein Ordnungsgeld von 128,50 Euro für das vermeintliche Fehlverhalten der Kühe aufgebrummt. Aus Sicht der Kommune eine ausgemachte Provokation und Unverschämtheit, denn inzwischen hat ja auch jeder Hundebesitzer beim Gassi gehen eine Plastiktüte parat, um das Geschäft seiner Fellnase spurenlos zu egalisieren.
Medientermin als Partykracher mit Bier und Wurstsemmeln
Aiwanger und seine Parteifreunde reagierten sofort: Auf der Kuhweide von Schweiger, umringt von den tatverdächtigen Kühen, organisierte das Wirtschaftsministerium des Freistaates Bayern eine offizielle Pressekonferenz mit dem Minister als zutiefst Betroffenem. Laut der Tageszeitung „Welt“ war die ministerielle Visite „einer der meistbesuchten Pressetermine in der Geschichte des Bayerischen Wirtschaftsministeriums“. Die Kernbotschaft hat nachhaltig Zeichen gesetzt: „Schauen wir mal, ob die Kühe noch schei… dürfen“, sprach Aiwanger todernst in die Mikrofone der anwesenden Rundfunk- und Fernsehsender. Und dann hat er unmissverständlich ein Zeichen gesetzt! Er überreichte dem betroffenen Bauern 130,00 Euro in bar in einer durchsichtigen Plastikhülle, wohlgemerkt aus seiner Privat-Schatulle, damit die Ordnungsstrafe ordnungsgemäß bezahlt werden kann. Übernommen von ihm, dem leibhaftigen Wirtschaftsminister. Der Medientermin hatte mit den vom Bauern aufgestellten Biergarnituren etwas von einem Volksfest. Der Minister, seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Medienvertreter und alle Zaungäste ließen es sich bei Wurstsemmeln, kaltem Bier und Kuchen richtig gut gehen. Fehlte nur noch die Blasmusik!
Der Kuhfladenskandal und viele Fragen
Und was sagt Bayerns CSU-Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (44) zur Show des Kabinettskollegen in ihrem angestammten Beritt? Nach ganz persönlicher Einschätzung interessiere die Öffentlichkeit viel mehr, „welchen Beitrag unsere Bäuerinnen und Bauern zur Bewältigung der Hungerkrise und Energiekrise leisten können.“ Und dann geht sie doch direkt auf den Kuhfladen-Skandal ein: „Wer Kühe auf der Weide will – und das wollen wir wohl alle – der muss auch akzeptieren, dass Kühe über die Straße müssen.“ Das klingt etwas verklausuliert aber doch logisch, weswegen die Ministerin auch Recht hat.
Spontane Fragen drängen sich auf: Wo dürfen bayerische Kühe in Zukunft Fladen ablegen und wo nicht? Sind Ordnungsstrafen für die Bauern, bei Fehlverhalten der Kühe, von der Steuer absetzbar? Wie laut und mit wieviel gemessenen Dezibel darf ein bayerischer Hahn krähen und eine Kirchenglocke läuten? Erhalten die Neubürger in Bayern zukünftig ein Coaching in Sachen weiß-blaues Kulturgut und bajuwarisches Werteverständnis? Wird Bayern München trotzdem wieder deutscher Fußball-Meister? Steigen die Sechzger aus Giesing endlich wieder auf? Ist in China ein Sack Reis umgefallen?