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Es fühlt sich an wie Anfang der 1980er-Jahre, als der neue gewählte Bundeskanzler Helmut Kohl vehement die geistig-moralische Wende für Deutschland forderte. Mehr als 40 Jahre später, im Zeitalter des Genderismus und vermeintlich politischer Correctness, wird der Sommer-Hit des Jahres 2022 aufgrund moralischer Bedenken bei diversen Volksfesten verboten. Als knallharte Spaßbremse durch konservative Moralapostel! Der Altkanzler hätte seinen Spaß daran, zu hören, dass in dieser geistig-moralischen Herausforderung zum Ballermann-Song „Layla“ wesentliche Bausteine seiner ersten Regierungsrede im Pro und Contra der Diskussion ausgegraben werden.
Aber der Reihe nach: Am 25. März 2022 veröffentlichten die beiden deutschen Künstler DJ Robin und Schürze mit dem Label Summerfield Records (gegründet von Matthias Distel alias Icke Hüftgold) den Partyschlager Layla. Als erstes Ballermann-Lied erklomm dieser Song am 24. Juni die Spitze der deutschen Singlecharts. Gleichermaßen beliebt ist der Song bei unseren deutschsprachigen Nachbarn: Platz 1 in Österreich, Platz 5 in der Schweiz! Ballermann-DJ Robin und seine Partner Schürze kamen zu Layla wie die Jungfrau zum Kind. Denn der Song war ursprünglich für den Schlagersänger Almklausi („Hey kleines Luder“, „Mama Laudaa“, „Schwaben König“) geplant, der von 2016 bis 2018 dreimal mit dem Ballermann-Award ausgezeichnet wurde.
Und wieder sind wir Anfang der 1980er-Jahre, in der Blütezeit der Neuen Deutschen Welle. Die Münchner Rock´n Roll-Band Spider Murphy Gang veröffentlichte den Song „Skandal im Sperrbezirk“, bei dem die fiktive Prostituierte Rosi außerhalb des Sperrbezirks Tag und Nacht Hochkonjunktur hat. Daraus resultiert dann der Skandal um Rosi – inklusive Kommunikation der erfundenen Telefonnummer „32 16 8“. Wegen des im Liedtext vorkommenden Wortes „Nutten“ boykottierten diverse Radiosender aus Bayern das Lied ab Sommer 1981 über mehrere Monate bis Ende 1981. Die bayerischen Bischöfe wetterten von der Kanzel, Kommunalpolitiker distanzierten sich von derartiger Schamlosigkeit. Wahrscheinlich auch deswegen verkaufte sich die Single 750.000-mal und schnellte Anfang 1982 an die Spitze der deutschen Singlecharts.
Echte und vermeintliche Skandale haben den Erfolg von Songs erfahrungsgemäß stets eher befördert als behindert. Falcos „Jeanny“, eine fast psychedelische Missbrauchsphantasie, wurde auf politischen Druck weder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, noch im Fernsehen veröffentlicht. Trotzdem war der Song im Jahre 1986 eine der meist verkauften Singles.
Soll jetzt auch der Karnevalshit „Olé wir fahr´n in Puff nach Barcelona“ verboten werden?
Und wieder grüßt das Murmeltier: Mit dem Sturm an die Chartspitze entfachte die Kritik an Layla! Musikwissenschaftler Markus Henrik spricht in seiner Bewertung des Songs von kalkuliertem Sexismus als Ausdruck toxischer Männlichkeit. Den Erfolg erklärt er mit „der unterbewussten Antwort auf die MeToo-Debatten der letzten Jahre.“ Summerfield-Label Mitbegründer Dominik de Leon ist vom Erfolg überrascht, weil das Lied bewusst politisch unkorrekt produziert wurde, um zu provozieren. Seine Erklärung des Erfolges: „Nach zwei Jahren Corona, dem Ukraine-Krieg und den Geschlechterdiskussionen haben die Menschen einfach wieder Lust zu feiern.“
Ex-Handelsblatt-Redakteur Thomas Knüwer veröffentlichte zum Thema im Blog indiskretionehrensache.de eine ganz besonders intellektuelle Sichtweise der Dinge: „Layla“ ist seiner Meinung nach „so witzig wie Sauflieder über Zwangsarbeiter“… „jenes romantische Bild des samtenen Bordells mit seinen ehrenhaften Huren ist mit dem Jahr 2022 nicht mehr in Einklang zu bringen. Der größte Teil der Prostitution in Deutschland besteht aus Zwangsprostitution, sprich: Sklaverei und Folter.“ Und weiter geht´s: „Wir sollten also nicht darüber diskutieren, ob Layla unter Kunstfreiheit fällt. Wir sollten, nein: wir müssten, darüber sprechen, wieso es in Deutschland zehntausende Sklavinnen gibt, die genauso gefoltert und ausgebeutet werden wie jene Bauarbeiter, die die WM-Stadien in Katar hochgezogen haben.“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber ganz ehrlich: Sollen die angeschickerten Feierbiester in den Bierzelten und auf den Partymeilen den Mitgröhl-Song „Layla“ tatsächlich mit Menschenrechtsverletzungen in Katar assoziieren?
Insofern scheint klar: Dem Partypublikum ist politische Correctness völlig egal. Hauptsache die Stimmung ist spitze und man kann gemeinsam abfeiern. Als Label in heutigen Zeiten bewusst einen politisch unkorrekten Song zu produzieren, ist allerdings mindestens moralisch fraglich. Aber letztlich gibt diese unorthodoxe Strategie den Machern recht. Denn am Ende zählt immer der Erfolg und die damit eingenommene „Kohle“. Juristisch betrachtet gilt: Selbst der dümmste Song genießt Kunstfreiheit!
Aber um was geht es hier eigentlich? Der typische Schlagerparty-Song thematisiert textlich zwei Männer, die sich zufällig begegnen. Der eine behauptet ein Bordell zu besitzen, in dem die titelgebende Layla als Puffmutter arbeitet. Und „schöner, jünger, geiler“ als der Rest der Prostituierten ist.
Und was meinen die Interpreten zur allgemeinen Aufregung? Das Musikvideo sei bewusst mit einer männlichen Layla versehen worden, weil man verhindern wolle „irgendwelchen Sexismus da rein zu bringen.“
Wer darf welche Lieder verbieten?
Inzwischen eskaliert die Aufregung um den Überraschungshit Layla: Diverse Volkfeste wie das „Kiliani“ in Würzburg und die Düsseldorfer Rheinkirmes und Schützenfest haben den Song auf den Index gestellt und verboten. In der Mainfranken-Metropole hat der Bischof im Kiliansdom immer noch großen Einfluss auf das Geschehen. Und die dem Namenspatron des Doms gewidmete Kirmes soll wohl in Sachen Partystimmung gefälligst politisch korrekt feiern. Das gilt auch für das „Donaulied“ aus dem 18. Jahrhundert („Heideröslein“, vielfach vertont von Franz Schubert, Robert Schumann und Johannes Brahms), welches möglicherweise eine Vergewaltigungsszenerie beschreiben könnte.
Die Düsseldorfer Veranstalter, der Schützenverein St. Sebastianus, distanzieren sich vehement von „Layla“. Denn der Text entspreche in keiner Weise den Gepflogenheiten des Traditionsvereins. Schützen-Chef Lothar Inden gibt sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verklausuliert:“ Ich bin der Meinung, dass dieses Lied überall hingehört – nur nicht auf den Festplatz.“ Einen Tag später die Kehrtwende: Der Schützenverein verbietet den Ballermann-Kracher nur noch im eigenen Festzelt, anderweitig darf abgespielt werden. Dazu Kirmes-Organisator Thomas König gegenüber der Rheinischen Post: „Der Gangster-Rap ist deutlich frauenfeindlicher. Meine Kinder haben mich für bekloppt erklärt.“ Dem Manager erschließt sich nicht ganz, warum gerade an diesem Stück ein Exempel statuiert werden soll.
Sündenfall der Rolling Stones?
Wie die Schützen wohl argumentieren, wenn eine der Coverbands im Schützenzelt „Brown Sugar“ der Rolling Stones zum Besten gibt? Inhaltlich geht es um die Ausbeutung schwarzer Sklavinnen und das damit verbundene sexuelle Vergnügen weißer Eigentümer. Mick Jagger kürzlich dazu befragt: „Heute würde ich den Song niemals mehr schreiben.“
Demgegenüber positionieren sich Festivals wie „Schlager Olé“, Ballermann und diverse Clubs bundesweit für Layla. Bisher sprechen rund 750.000 verkaufte Singles für sich.