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Bei einigen Marketing- und Vertriebschefs der Automobilbranche scheint „Me Too“ immer noch ein nicht definierbares Fremdwort zu sein. Das schließt die Kreativchefs und Produzenten namhafter Agenturen mit ein, die für millionenschwere Budgets mit kreativen TV-Spots Begehrlichkeit für Automodelle wecken sollen.
Wir erinnern uns: Im Zuge des Weinstein-Skandals haben Frauen 2017 in Hollywood damit begonnen, sexuelle Belästigung öffentlich zu machen. Daraus wurde eine weltweite Bewegung, eine gesellschaftliche Kampagne gegen Missbrauch und sexuelle Belästigung, die das Verhalten von Männern und Frauen nicht nur sensibilisiert, sondern verändert hat. Die Zeiten, in denen Macho-Chefs mit tumber Anmache ihre Macht bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versuchen ausnutzen, sollte inzwischen weitestgehend der Vergangenheit angehören.
Umso mehr verwundert, was sich gerade Mercedes in China und Citroen in Ägypten geleistet haben.
Der Fall Mercedes:
Der chinesischen Staatsregierung sind bereits seit einiger Zeit jugendliche Medienstars wie BloggerInnen, Popstars oder junge Selfmade-Millionäre ein Dorn im Auge, wenn sie sich zu freizügig im Luxus zeigen und sich zu sehr westlich positionieren. Die kommunistische Partei der Volksrepublik fürchtet bei zu viel Verwestlichung einen kulturellen Wandel, der nicht gewünscht ist. China bekennt sich aktuell mehr denn je zu eigenen Wurzeln, nationaler Kultur, dem Sonderweg beim gesteuerten Kapitalismus…
So ist es wenig erstaunlich, dass der aktuelle Mercedes-TV-Spot, der das Luxus-Coupé CLS promotet, auf scharfe Kritik stieß. Ob nun der Shitstorm in den sozialen Medien gesteuert war oder nicht – der schwäbische Limousinen-Bauer sollte für gesellschaftliche Strömungen im Reich der Mitte sensibel sein. Mit lasziven Blicken eines teuer eingekauften Models hat man nicht einmal in den tabulosen 70er-Jahren des vergangenen Jahrtausends in Westeuropa diese Premiummarke präsentiert. Auch mit viel Phantasie kann man sich schwer vorstellen, dass die Zielgruppe dieses sündhaft teuren Gefährts die Zielgruppe von 20-jährigen Chinesinnen ist. Aus Sicht der staatlich kontrollierten Global Times „würden westliche Stereotypen über asiatische Menschen zum Ausdruck gebracht,“ so der Kommentar. Weiter heißt es: „Kein Chinese komme auf die Idee, dass diese Art von Schönheit attraktiv ist.“
Unabhängig von der Diskussion über Sexismus in diesem TV-Spot, hat das Thema eine höchst politische Komponente: Denn seit kurzem hält die chinesische BAIC Group, ein Staatskonzern, 9,98 % der Aktien von Daimler und ist damit größter Aktionär. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, dass ein Anruf aus Peking nach Untertürkheim die Alarmklingeln bei Mercedes zum Läuten gebracht haben könnte.
Mehr zu Daimler, Mercedes und den Machtverhältnissen im Konzern: siehe unser Beitrag in der Rubrik Wirtschaft:
Der Fall Citroen:
Dass sexuelle Belästigung in konservativen Ägypten ein heikles Tabu-Thema ist, sollte auch beim französischen Autobauer angekommen sein. In der immer noch weitestgehend von Männern dominierten Gesellschaft wehren sich immer mehr Frauen aktiv gegen Belästigung und Missbrauch. In einer Umfrage des Arab Barometer“ von 2020 gaben 90% der befragten Frauen an, in den zurückliegenden 12 Monaten sexuell belästigt worden zu sein.
Wie naiv muss man also sein, wenn man den heimischen Popstar Amr Diab für viel Geld als Citroen-Testimonial einkauft, diesen mit dem Modell C4 touren lässt, um als Gag die eingebaute Kamera des Autos als Highlight zu promoten. Und zwar so, dass der Popstar wegen einer gutaussehenden Frau plötzlich bremst, diese dann heimlich mit der Autokamera fotografiert, um das Foto dann grinsend aufs Handy zu laden. Die Pointe: „Halte jeden schönen Moment fest“, so der Schlussakkord im TV-Spot.
Die sozialen Medien liefen nach dem Kampagnenstart heiß. Tenor: Citroen promote Voyeurismus, mit einer eingebauten Autokamera, die doch eigentlich die Sicherheit des Fahrers unterstützen sollte.
Citroen zog den TV-Spot „flugs“ aus dem Verkehr und bedauerte im offiziellen Statement die negative Auslegung der Szene. Addiert man die Gage für Diab mit den Produktions- und Mediakosten sowie den Imageschaden dürfte der Schaden für Citroen bei mehreren Millionen Euro liegen.
Mehr zu Sexismus in der Werbung: siehe unser Beitrag in der Rubrik Lifestyle: