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Unter den vielen löblichen Neujahrsvorsätzen, die jedes Jahr aufs Neue gefasst werden, kann man sich auf das Wiederkehren einer bestimmten – oft nicht sehr nachhaltigen – Versprechung ganz besonders verlassen: Der erste Monat eines jeden Jahres wird mittlerweile ganz selbstverständlich als Dry January deklariert. Hat man sich über die Weihnachtsfeiertage und an Silvester noch ohne Rücksicht auf Verluste die Lichter ausgeschossen, so wird am 01.01. der Körper schlagartig für einen Monat lang zum Tempel erklärt. Die Anhänger dieses auf Social Media omnipräsenten, aus Großbritannien stammenden Phänomens sind meist gleichermaßen überzeugt wie mitteilsam – sie lassen ihr Umfeld gerne wissen, wie leicht es ihnen fällt, dem Alkohol zu entsagen und nicht selten schwingt dabei auch ein Missionierungsgedanke mit. Ebenso verlässlich: Kaum ist der Februar da, wird man wieder schräg angeschaut, sobald man einen Drink ablehnt. Diese kleine Überspitzung mal beiseite genommen: Alkohol spielt gesellschaftlich eine nicht wegzudenkende Rolle.
Ein Gläschen in Ehren…
Das Glas Champagner zum Feiern besonderer Anlässe, das Feierabendbier zum Entspannen vor dem Fernseher, der gute Wein, der das Essen abrundet und der Absacker gegen das Völlegefühl danach, Cocktailabende in geselliger Runde… Alkohol ist gerade in den westlichen Ländern gesellschaftlich nicht einfach nur akzeptiert, sondern ein integrativer Bestandteil sozialer Anlässe und Rituale. Wer nicht trinkt, ist schnell außen vor – es sei denn, die Person hat „gute Gründe“, wie etwa Medikamenteneinnahme, Schwangerschaft, religiöse Prinzipien, ein dezidiertes Suchtproblem oder eben eine kurzfristige, zur Selbstoptimierung dienende Challenge wie der Dry January. Man muss sich in jedem Falle darauf einstellen, dass man seine Abstinenz erklären muss.
Deutschland im internationalen Vergleich – knallen bei uns die Korken besonders oft?
Wer vermutet, dass die Deutschen, die international ja immer gerne mit dem Stereotyp des ständig biertrinkenden Lederhosenträgers gleichgesetzt werden, sich gerne mal das ein oder andere Glas gönnen, liegt richtig: Laut Statista lag Deutschland im weltweiten Vergleich im Jahr 2019 auf Platz 4 mit einem Verbrauch von 12,8 Litern puren Alkohols pro Kopf – das ist mehr als doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt von 5,8 Litern pro Kopf. Die naheliegende Annahme, dass die Corona-Pandemie den Alkoholkonsum steigen lassen würde, hat sich nach aktuellem Stand nicht bewahrheitet – drei Viertel der Deutschen gaben in einer Umfrage an, im Krisenjahr 2020 weder mehr noch weniger getrunken zu haben. Was sich jedoch geändert hat, ist die Verschiebung des Konsums in den privaten Bereich – bedingt durch die weitläufigen Schließungen von Gastronomie und das Ausfallen von Veranstaltungen wie Konzerten, Fußballspielen etc. Das machte sich auch bei den Absatzzahlen der Brauereien bemerkbar, welche 2020 deutlich zurückgingen. Insgesamt lässt sich beim Alkoholkonsum in den wohlhabenden Ländern eine Stagnation, teilweise sogar eine leichte Rückläufigkeit beobachten.
Macht die Dosis das Gift?
Dass zu viel Alkohol der Gesundheit schadet, wissen wir. Aber wie viel ist zu viel? Lange ging man beispielsweise davon aus, dass etwa das tägliche Glas Rotwein gut fürs Herz sei. Aktuelle Empfehlungen sprechen hingegen eine andere Sprache: Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen empfiehlt als risikoarmen Schwellenwert 24 Gramm Alkohol pro Tag für Männer und 12 Gramm für Frauen. Für Frauen entspricht das maximal einem kleinen Bier oder circa 125 ml Wein. Wichtig hierbei: Dies ist dann bei Weitem nicht als gesunde Art des Konsums zu verstehen, sondern lediglich als risikoarm, also wenig schädlich. Eine 2018 im Fachmagazin The Lancet erschienene Studie führte zu der Erkenntnis, dass auch geringe Mengen an Alkohol sich negativ auf die Gesundheit auswirken, u.a. in Form von Bluthochdruck. Es wird entsprechend davon ausgegangen, dass die Empfehlungen zukünftig sogar noch weiter nach unten korrigiert werden.
Wohlsein? Wohl kaum.
Die World Health Organisation (WHO) spricht ein vernichtendes Urteil gegen Alkohol aus: Er wird als kausaler Faktor für 200 verschiedene Krankheiten betrachtet – weltweit sterben jährlich 3 Millionen Menschen an den Folgen von Alkohol (harmful use of alcohol). Neben den gesundheitlichen Auswirkungen hat Alkohol zudem durch seine suchtbildenden Eigenschaften auch soziale und volkswirtschaftliche Folgen. Die DHS gibt an, dass im Jahr 2018 3 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland eine alkoholbezogene Störung aufwiesen – Deutschland ist ein sogenanntes „Hochkonsumland“. Neben der DHS gibt es zahlreiche weitere Initiativen zur Suchprävention und -beratung. Natürlich steht dem gegenüber ein Interessenkonglomerat einer ganzen milliardenschweren Industrie, die mit dem Produkt Alkohol trotz insgesamt rückläufiger Zahlen immerhin noch 2,2 Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland umsetzt. Die Einnahmen, die der Staat aus der Alkoholsteuer verzeichnen kann, lassen sich ebenfalls sehen: Diese betrugen 3,243 Mio. Euro für das Jahr 2020.
Was bringt Dry January?
Natürlich kann ein einziger Monat Abstinenz nicht ausbügeln, was durch unverantwortlichen bzw. übermäßigen Alkoholkonsum im Rest des Jahres angerichtet wurde. Wer zuvor regelmäßig über den Durst getrunken hat, kann sich möglicherweise sogar erst mal schlechter fühlen – je nach Schwere und Regelmäßigkeit des Konsums kann es nämlich zu Entzugserscheinungen kommen. Refinery29 fasst anschaulich zusammen, was im Körper passiert, wenn man einen Monat lang dem Alkohol entsagt. Die positiven Auswirkungen sind u.a.: bessere Schlafqualität, ein gestärktes Immunsystem und eine bessere Verdauung – und das bereits nach so kurzer Zeit. Keine schlechte Motivation. Wer aber danach direkt weitermacht wie zuvor, macht natürlich alle Benefits gleich wieder zunichte. Für Viele ist der Dry January aber tatsächlich ein Ansatzpunkt für grundlegende, nachhaltige Veränderungen – für manche bedeutet das eine fortwährende, totale Abstinenz, für andere einen gemäßigten, bewussten Konsum. Was Dry January unabstreitbar bewirkt, ist eine Auseinandersetzung mit der Thematik Alkoholkonsum auf individueller Ebene – und dies ist in Anbetracht der zuvor genannten Zahlen notwendiger denn je.