9. August 2022

Wer spielt mit gezinkten Krypto-Karten?

Foto: Shutterstock / Golden Dayz

Finger weg: Verwirrende Kampagne nutzt Image von Amazon und Bitcode Prime für Hochrisiko-Investments – Amazon reagiert!

Autorenbeitrag von Tilmann Meuser

Dass der weltweite Onlineshop-Marktführer Amazon eine eigene virtuelle Währung hat, ist bekannt. Der „Amazon-Coin“ wurde bereits 2013 vom Internethändler aus Seattle eingeführt und ist 1:1 an den US-Cent gebunden. 300 Coins kosten aktuell 2,91 Euro. Mit dem virtuellen Geld lässt es sich bequem im Amazon-Cosmos einkaufen und sparen… Und plötzlich lese ich überraschende Schlagzeilen bei Facebook: „Ab heute können Sie neues offizielles E-Geld von Amazon kaufen“ oder „Amazon erfand eine neue elektronische Währung“. In einem Post mit der Überschrift „Amazons neueste Plattform schockiert die Welt und Banken haben Angst“, sah ich den lachenden Jeff Bezos, das globale Gesicht von Amazon. Ein Chart mit dem unverwechselbaren Amazon-Logo suggeriert mir, dass ich als Deutscher, anscheinend nur als Deutscher, aus einem Investment von 1.440,00 Euro ein Einkommen von 19.900,00 Euro erzielen kann.

Werbung mit Jeff Bezos von Amazon - Fake
Angeblich soll Jeff Bezos, CEO von Amazon, mit dem Projekt „Biticodes“ Menschen in Not helfen. Die entsprechende Website präsentiert eine Handelssoftware – weit und breit kein Bezos zu sehen. (Foto: Screenshot Facebook, qjmxso.top)

Wow, so meine spontane Reaktion, macht der reichste Mann der Welt jetzt tatsächlich üppige Geschenke? Wenn ja, ein wahrer Philanthrop! Wo dieser ansonsten doch für knallharte Bandagen im globalen Business bekannt ist…

Warum wusste ich nichts davon? Hatte ich geschlafen? Ging dieser digitale Börsengang an mir vorbei? Das kann eigentlich nicht sein: Denn wir entwickeln Content-Strategien für Krypto-Währungen, haben diverse ICOs (Initial Coin Offerings) medial flankiert, stecken aktuell mitten in einem Börsengang, bei dem tokenisierte Aktien auf einer digitalen Handelsplattform erfolgreich verkauft werden. Deshalb habe ich mich in den vergangenen Wochen intensiv mit unterschiedlichsten Fachredakteuren von Finanz- und Krypto-Medien ausgetauscht, mit Bankern gefachsimpelt.

Jeff Bezos kennt jeder – seine neue Krypto-Währung aber niemand!

Natürlich haben wir auch über das Libra-Projekt von Facebook diskutiert, eine private Komplementärwährung von Facebook, lange Zeit das Lieblingsprojekt von Mark Zuckerberg. Von Genf aus sollte diese neue Facebook-Währung die Zahlungssysteme der gängigen Banken angreifen. Aber die US-Notenbank schob dem Traum einen tonnenschweren Riegel vor. Und jetzt kommt Jeff Bezos mit seiner Krypto-Währung plötzlich wie „Kai aus der Kiste“? Irgendetwas kann da nicht stimmen… Das erinnert stark an Pseudo-Anzeigen, bei denen undefinierbare Absender in der Vergangenheit mit den Bildern der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“ für unseriöse Geldanlagen geworben haben. Keiner meiner Kolleginnen und Kollegen oder Netzwerkpartner erwähnte etwas von der vermeintlich neuen Amazon-Krypto-Währung! War das vielleicht doch ein Mega-Coup des reichsten Mannes der Welt?

(Foto: Screenshot Facebook)

Und wieder fliegt so ein Post durch meinen Facebook-Account: „Ihr Einkommen in 4 Wochen… 350 Euro Invest in Deutschland führt mit Amazon zu einer Rendite von 27.550,00 Euro“, entnehme ich der Grafik. Meine Nackenhaare sträuben sich – ich werde stutzig. Denn all diese verheißungsvollen Beiträge sind gesponsert. Sie stammen von Privatpersonen, wie es scheint.

Aufwändig angelegte Fake-Websites versuchen zu ködern

Mehr und mehr vergleichbare Beiträge springen mich aus dem Netz förmlich an! Ich klicke mal interessiert auf einen Beitrag und komme auf eine vermeintlich professionell gemachte und seriöse Seite „nordbayern“. Augenscheinlich ein Newsportal mit unterschiedlichsten Rubriken wie Politik, Kultur, Region, Sport, Amateurfußball, etc. Wie aber bereits der Blick auf die obskure Domain zeigt – abwlkj.com – handelt es sich hier keineswegs um das Portal nordbayern.de, sondern um eine geklonte Fake-Seite, die sich durch Aneignung der Optik der Nachrichtenseite einen Anstrich von Vertrauenswürdigkeit und Seriosität verschaffen will. Dies wird im weiteren Verlauf auch durch die Inhalte bestätigt.

Auf der Startseite lacht mich Bezos, der vor einem Krypto-Börsenchart der BitFinex posiert, schon wieder unverschämt gut gelaunt an. Diverse Logos von ARD, der Deutschen Welle und von RT Deutsch sollen mir erklären, dass dieses Foto ein Schnappschuss aus entsprechenden Fernsehsendungen ist. Bei mir fängt es jetzt richtig an zu hämmern: Hat RT DE, der Fernsehsender mit Hauptsitz in Moskau, nicht Anfang April seine Aktivitäten in Deutschland eingestellt? Hier hakt doch etwas ganz gewaltig!

Ich klicke die Unterseiten von „nordbayern“ der Reihe nach durch. Von wegen Politik, Kultur oder Sport – ich komme auf jeweils eine identische Unterseite, die mich motivieren soll, mein Leben schon heute zu verändern. „CRYPTOPOINT“, wer auch immer ist, möchte meine Daten. Warum? Damit ich Geld einzahlen kann – aber nicht, um Amazon-Coins zu kaufen!

(Foto: Screenshot Facebook)

Ich sollte spätestens jetzt nicht weiter auf dieser Seite spazieren gehen. Zu unseriös, zu gefährlich, sagt mein Gehirn. Aber ich bin jetzt gespannt, scrolle weiter: Es tauchen gefühlt 100 Kommentare von Personen mit Fotos auf, die von Bitcoin und auffallend häufig von Bitcode Prime schwärmen. Beim „Testimonial“ Anton Schulz, der vermeldet in einer Woche 1.430,00 Euro verdient zu haben, klicke ich „Kommentieren“ an, denn ich möchte wissen, wie er das gemacht hat. Nix geht, der Button ist nicht verlinkt. Wie bei allen anderen Pseudo-Testimonials auch. Alles ein Fake!

Geknackte Facebook-Accounts dienen als Absender der Werbeanzeigen

Ich gehe noch mal auf den gesponserten Beitrag von „Anchal Sahu“, einer wie es scheint prominenten indischen Schauspielerin. Der von ihr veröffentlichte Beitrag zeigt mir plakativ, dass Amazon 250,00 Euro investiert, um mein Einkommen in einem Monat auf 18.500 Euro zu steigern. Unter der Domain EURODRIGOBISPO.COM, die ich anklicke, komme ich wieder auf die Seite „nordbayern“, mit exakt identischem Content, der auch auf allen anderen Trojaner-Pages aufgezeigt wird.

(Foto: Screenshot Facebook)

Ja, wie geahnt: Hier handelt es sich um eine ganz üble Abzocke! „Anchal Sahu“ gibt es tatsächlich. Sie ist Schauspielerin und hat 25.130 Follower auf Facebook. Der unter ihrem Namen veröffentlichte und gesponserte Beitrag ist auf ihrer eigenen Seite allerdings nicht auffindbar. Es scheint, als wurde der Account gehackt. Facebook vermerkt, dass über diese Seite gerade Anzeigen veröffentlicht werden.

(Foto: Screenshot Facebook)

Die Frage: Ist Bitcoin Prime tatsächlich so dreist, möglicherweise ein richtig „böser Finger“?

(Foto: Screenshot Fakeseite)

Mit einer unlauteren Kampagne, in die wohl nur für Deutschland ein mindestens sechsstelliger Euro-Betrag investiert wurde, soll der Eindruck erweckt werden, dass ein 250,00 Euro-Investment bei Bitcode Pride horrende Renditen erzielen wird. Das „kann“ lese ich nicht einmal im Kleingedruckten! Denn klein gedrucktes gibt es nicht. Und alle Versprechen erhalte ich unter vermeintlicher Fürsprache von Amazon und Jeff Bezos.

Laut Eigendarstellung versteht sich das Projekt, Produkt oder Unternehmen, so genau lässt sich das nicht erschließen, als revolutionäre, automatisierte Handelssoftware, die ausschließlich für den Handel auf den Bitcoin- und Kryptowährungsmärkten entwickelt wurde.

  1. Mir stellen sich zwei Fragen:Haben Bitcode Prime bzw. das hinter dem Produkt stehende Unternehmen mypinio keine Angst vor den juristischen Folgen dieser dreisten Kampagne? Eine Klage von Bezos dürfte im Millionen-Euro-Bereich liegen…
  2. Warum lässt Facebook – mit ansonsten so strengen Compliance-Regeln – diese Kampagne so einfach durchlaufen? Motiviert die „Kohle“, der „schnöde Mammon“, so sehr, dass die Sorgfaltspflicht gegenüber möglicherweise gnadenlos abgezockten Usern außer Kraft gesetzt wurde?

Nach einigen Telefonaten und weitergehender Recherche im Netz wird die Sachlage klarer: Einige Portale berichten ganz aktuell über die Großoffensive von Betrügern auf Facebook. Dabei handele es sich eindeutig um Bitcoin-Scam! Anscheinend stammen die gesponserten Beiträge mit dem Amazon-Versprechen tatsächlich von realen Accounts oder von Accounts, die bereits längere Zeit nicht mehr genutzt wurden. Diese Facebook-Nutzer wurden Opfer von gezieltem Facebook-Phishing: Gelockt auf eine gefälschte Seite, haben sie ihre Login-Daten preisgegeben. Mit der Konsequenz, ihre virtuelle Identität durch eine feindliche Übernahme an Kriminelle verloren zu haben.

Verlierer sind Amazon, Jeff Bezos, Bitcode Prime und unvorsichtige Anleger

Aber um was geht es hier konkret? Die vorgeschobenen Lockvögel Amazon und Jeff Bezos sollen für Aufmerksamkeit sorgen und den motivierten User zum Durchklicken animieren. Dann kommt Bitcode Prime ins perfide Spiel! Diesen „Krypto-Roboter“ gibt es tatsächlich. Ab einem Investment von 250,00 Euro handelt die automatisierte Trading-Plattform auf dem Krypto-Währungsmarkt mit sieben attraktiven digitalen Währungen. Das ist kein Fake!

Als Investor hat man auf dieser Plattform praktisch nichts zu tun – die Autotrading-Software erledigt alles selbstständig zur Zufriedenheit des Kunden. Inzwischen bin ich aber auch hier skeptisch! Welche Nutzer-Kommentare und Berichte, die im Netz stehen, die ich lese, sind authentisch, welche gekauft?

Fakt ist: Die vermeintliche Amazon-Krypto-Kampagne ist schlichtweg Betrug. Geschädigt werden nicht nur Amazon und Jeff Bezos, zu leiden hat auch Bitcode Prime. Denn die Kriminellen täuschen den Usern ein Investment bei Bitcode Prime vor, was aber frei erfunden ist. Dabei nutzen sie das identische Einstiegskapital von 250,00 Euro, um zu ködern.

Cyberkriminelle Berater im Callcenter

Ich bin jetzt definitiv raus: Es genügt mir, was ich auf den Portalen mimikama.at und computerbild.de lese. Gibt der User jetzt seine persönlichen Daten bei einem der getarnten Fake-Portale dieser Betrugskampagne an, meldet sich kurzfristig ein „persönlicher Berater“. Dieser Mitarbeiter aus einem Callcenter, wahrscheinlich ansässig in Osteuropa, drängt auf die Überweisung der 250,00 Euro. Von Amazon, Jeff Bezos oder Bitcode Prime ist keine Rede mehr. Dafür gibt es gigantische Rendite-Versprechen. Wer sich weigert zu überweisen wird unter Druck gesetzt, kann schon mal derb beleidigt werden. Wer einmal investiert, hat bereits verloren. Denn der Cyberkriminelle wird zur regelrechten Klette, ruft unablässig an, will immer mehr Geldüberweisungen. Das Ende vom Lied: Totalverlust! Die Polizeidirektion Ludwigshafen ermittelt in dieser Sache.

Meine persönliche Lernschleife: Ich sollte mich vielleicht nicht so oft in Krypto-Communitys tummeln. Aber: Was soll´s? Wieder mal habe ich gesehen, mit wieviel Dreistigkeit und Werbebudgets Krypto-Wölfe ihre Investorenschafe zu ködern versuchen.

Amazon reagiert auf kriminelle Nutzung von Marke und CEO Bezos bei dubiosen Krypto-Investments

Auf eine Mail mit Fragen an die Amazon-Presseabteilung in München habe ich von einer Amazon-Sprecherin folgende Antwort erhalten.

“Betrüger, die versuchen, sich als Amazon auszugeben, gefährden unsere Kund:innen und unsere Marke. Obwohl diese Betrugsmaschen außerhalb unseres Stores erfolgen, werden wir weiterhin in den Schutz unserer Kund:innen investieren und die Öffentlichkeit darüber aufklären, wie sie sich vor Betrug schützen kann. Wir ermutigen Kund:innen, uns potenzielle Betrugsfälle zu melden, damit wir ihre Konten schützen und Tatverdächtige den Strafverfolgungsbehörden melden können, um die Sicherheit der Kund:innen zu gewährleisten. Bitte besuchen Sie unsere Hilfeseiten für weitere Informationen darüber, wie man Betrug erkennt und meldet."

Zum Autor:

Tilmann Meuser ist Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft und PR-Agentur CP/CONSULT Consulting Services GmbH, Essen, die u.a. auch das Newsportal businessnews365.de betreibt. Im Redaktionsteam fungiert er als Chefredakteur.

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